

… ich wollte diesen Beitrag bereits vor einem Jahr zu meinem 10-Jahre-Berlin-Jubiläum schreiben, doch dann war alles nicht „perfekt“ genug – nicht so, wie ich mir diesen Jahrestag vorgestellt hatte. Nun, auch dieses Jahr ist alles nicht perfekt genug, aber ich möchte den Beitrag trotzdem schreiben, denn die letzten Tage haben mich nostalgisch gestimmt.
Seit heute bin ich ganz offiziell, also laut Mietvertrag Nummer 1 und Melderegister, elf Jahre Wahl-Berlinerin. Kann man den Zusatz „Wahl“ eigentlich irgendwann unter den Teppich kehren? Berliner:innen sind an der Stelle… nun ja… etwas eigen! Sobald ich anfange zu sprechen, verrät mich mein gerolltes „r“ ohnehin, spätestens dann gibt es also den „Zugezogen“ Stempel!
Hier also mein persönlicher Liebesbrief an die Stadt, die nie schläft…
Schon mit 13 habe ich abends mit meiner damals besten Freundin zusammen gesessen und darüber gesprochen, dass es irgendwann nach Berlin gehen soll. Ich kannte die Geschichten meiner Mama aus ihrer Berlin-Zeit und wollte das auch – ich bin in einem kleinen Dorf in Bayern aufgewachsen, einem Dorf, in dem jeder jeden kennt und die Eltern schon wussten was man gemacht hat, bevor man nach Hause gekommen ist und davon erzählen konnte (Dorf-Leben eben). Berlin war für mich die große Freiheit, Anonymität und die Möglichkeit ich zu sein ohne Kompromisse machen zu müssen, weil es irgendeiner Oma im Kuhkaff nicht passen könnte und sie sonst meine Oma anruft… (DORF-LEBEN!).
Obwohl ich mich also schon früh für Berlin als meine Wahlheimat entschieden habe, war der Umzug nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe. Mein erster Versuch, 2012, verlief anders als geplant und vielleicht war ich mit 19 auch einfach noch nicht so weit. 2014 habe ich es also nochmal versucht. Über ein Jahr habe ich den Umzug geplant und wollte, gemeinsam mit meinem damaligen Freund, umziehen und in Berlin neu anfangen. Das Leben ist aber, was passiert während man noch plant, oder?
Tja, und passiert ist einiges, nur nicht das, was geplant war…


Etwa einen Monat vor dem Umzug, hat mich mein damaliger Freund dann vor die Wahl gestellt: er oder Berlin, denn er habe sich umentschieden und wolle doch nicht umziehen. Und so bin ich Anfang August mit einem großen Rucksack und zwei Koffern … und dem, wie Cyndi Lauper in „time after time“ besingt, suitcase of memories in den FlixBus gestiegen und nach Berlin gefahren.
2014 war wild. Sehr wild. Ich habe etwa 2,5 Monate aus den Koffern gelebt und bin abwechselnd bei meiner Herzschwester Inka und einem guten Freund untergekommen, habe gearbeitet, nebenbei ein Tattoo-Studio mitrenoviert und war durchgängig auf Wohnungssuche. Der Wohnungsmarkt in Berlin war damals schon mies … meine anfänglichen Traumvorstellungen („Zwei separate Zimmer, Balkon, Badewanne, Kreuzberg – Tempelhof – Schöneberg oder Neukölln“) haben sich sehr bald zu Gunsten der Realität in Luft aufgelöst. Weil man nicht in Luftschlössern leben kann (leider), wurden meine Vorstellungen dann immer realistischer (zwei separate Zimmer, bitte nicht Hellersdorf oder Marzahn!). Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Wohnungen ich besichtigt habe. Ich habe mich über den Tisch ziehen lassen und Geld bezahlt ohne dafür eine Wohnung zu bekommen und war irgendwann verzweifelt genug einer absolut fremden Person über Kleinanzeigen mein „Leid zu klagen“.

Das war aber wohl die richtige Entscheidung im richtigen Moment und gegenüber der richtigen Person, denn die Frau, mit der ich damals geschrieben habe, hat eine:n Nachmieter:in für ihre Wohnung gesucht und trotz vieler Anfragen, hat sie ihrem Vermieter nur mich als Nachmieterin vorgeschlagen, weil sie – ich sage es so drastisch wie es damals war – Mitleid mit mir hatte. Meinen ersten Mietvertrag für eine Wohnung in Berlin habe ich zum 15. Oktober 2014 unterschrieben. Elf Jahre Berlin.

Diese elf Jahre Berlin waren eine unglaublich intensive Zeit. Aus einer anfänglichen besten Freundin (Inka) wurde trotz oder wegen vieler Up and Downs, wegen all der Hürden, die wir gemeinsam gemeistert habe und all der Scheiße, in die wir unsere Karren gefahren und gegenseitig bzw. miteinander wieder herausgezogen haben, eine Herzschwester – mein kleines Stück Wahlfamilie in Berlin. Ich bin unendlich dankbar für all die Erinnerungen und Erfahrungen, die wir in unseren gemeinsamen Suitcase of Memories mittlerweile gepackt haben – trotz all dem Mist, den wir gemeinsam erlebt haben, haben wir auch so viele schöne Erinnerungen, gute Gespräche und Marmeladenglasmomente gesammelt!
Ich habe in dieser Zeit Bekanntschaften und Freundschaften geknüpft – andere sind über die Zeit lockerer geworden und verloren gegangen, was blieb sind Fotos und mal gute, mal schlechte Erinnerungen. Meine Herzfamilie ist über die Zeit noch ein Stück größer geworden und ich habe nun einige Menschen hier, die entgegen der Oberflächlichkeit, die diese Stadt auch irgendwie ausmacht, beständig sind und hinter mir stehen.
Mein „zehn Jahres Plan“, der quasi letztes Jahr abgeschlossen hätte sein müssen, hat sich in Luft aufgelöst und dem Leben Platz gemacht. Das hat mich zeitweise sehr verunsichert und der Balanceakt war ganz schön wackelig. Mittlerweile habe ich Frieden damit geschlossen, dass alles anders ist als gedacht.

Und ganz ehrlich? Wenn ich mir mein Leben heute anschaue … bin ich glücklich. Nicht immer, nicht jeden Moment und nein, es ist nicht alles glitzernd und perfekt, aber es ist echt – alles daran.
Ich bin Mama geworden. Und die Entscheidung, diesen kleinen Menschen – meinen kleinen Raben – auf dieser Welt zu begrüßen, hat alles verändert, meine Leben ist eine Achterbahnfahrt und sie hat alles auf den Kopf gestellt. Als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich mir über vieles Gedanken gemacht … ich war mir bei so vielem unsicher und wusste nicht genau, wo ich hin möchte, wer ich sein möchte und mein „zehn Jahres Plan“, von dem ich anfangs so überzeugt war, hätte nicht weiter von der Realität weg sein können.
Ich habe meine Prioritäten neu verhandelt und lerne gerade anzunehmen, was mir das Leben zu bieten hat. Habe ich die Entscheidung nach Berlin zu ziehen bereut? Nein. Ja, ich vermisse meine Familie in Bayern und den Duft im Wald, nachdem es gerade geregnet hat. Ich vermisse die Berge und die Ruhe, die Natur, manchmal sogar die Langeweile, die das Dorfleben mit sich gebracht hat. Ich vermisse auch einige Menschen, die ich in Bayern zurückgelassen habe und mit denen ich zwar schreibe, die ich aber viel zu selten sehen (kann).


Aber mein Herz gehört Berlin … der Stadt, die manchmal viel zu laut ist, die sich schneller verändert, als mein Orientierungssinn vertragen kann und die mich schon bei meinem ersten Besuch in ihren Bann gezogen hat.
Nein, ich bereue nicht diese Entscheidung getroffen zu haben. Berlin war mein Neuanfang. Und ich behaupte, ich habe ihn gut genutzt.
Werde ich für immer in Berlin bleiben? Ich weiß es nicht. Für immer ist eine unglaublich lange Zeit und ich weiß nicht, was die Zukunft für mich bereit hält (tja, kein neuer zehn Jahres Plan für mich!) – vielleicht bleiben wir, vielleicht entscheiden wir uns irgendwann für ein neues Abenteuer. Für jetzt ist es Berlin!
Danke an alle, die meine Zeit hier so wertvoll machen!




